Monday, 29 April 2024
Statement

Das Problem von Filmen mit Botschaft

Der Film, und damit auch die Werbung, kann eine starke Kraft im gesellschaftlichen Wandel zum Besseren sein. Das ist eine wunderbare Sache. Als Filmemacher selbst sollte man doch stolz darauf sein können. Warum also, wenn mir jemand von einem Film erzählt, der “eine wichtige soziale Botschaft hat, die jeder sehen sollte” enthält, lässt mich das zusammenzucken?

Die Frage ist rhetorisch. Ich kenne die Antwort bereits.

Sehen Sie, ich habe immer meine Probleme mit ‘Message’-Filmen gehabt. Um ehrlich zu sein, ich habe sie lange Zeit regelrecht gehasst. Die Ironie ist, das Zitat im ersten Absatz bezieht sich auf einen meiner eigenen Filme.

Letztes Jahr habe ich für Heineken den Film ‘Worlds Apart’ gedreht, der mit über 35 Millionen Views mein mit Abstand meistgesehenes Werk ist. Die Presse auf der ganzen Welt applaudierte dem, was das Time Magazine als “Brückenschlag-Botschaft” bezeichnete. Es wird aber noch schlimmer. Davor habe ich ‘Free the Kids’ für Persil gemacht, beschrieben als eine “aufrüttelnde Botschaft”, und vor kurzem habe ich eine “wichtige Botschaft für Schulkinder und Eltern” mit Netflix’ meistgeklicktem Film ‘13 Reasons Why’ gedreht. Es besteht kein Zweifel, dass alle drei oben genannten Filme als “Botschaft”-Filme kategorisiert werden können, also was soll’s? Hasse ich meine eigene Arbeit? Nun, …

Ich bin tatsächlich sehr stolz auf diese drei Filme. Sie sind entstanden, weil ich meine Gefühle darüber, was ein Film mit Botschaft sein kann, neu bewertet habe. Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass einige meiner Lieblingsfilme “Message”-Filme waren, aber weil die Filmemacher sehr subtil damit umgegangen waren, hatte ich nie zuvor darüber nachgedacht. Nehmen wir zum Beispiel Scorsese, wo einige einen Typen sehen, der profane, gewalttätige Gangsterfilme macht. Ich hingegen sehe viele seiner Arbeiten als die eines sehr moralischen Regisseurs, der aber diese moralische Botschaft dem Publikum nicht aufgezwingt. Stattdessen haben seine Filme das Selbstvertrauen, den Zusammenhang darzulegen und dann das Publikum die Verbindungen selbst herstellen zu lassen. Wenn der Zuschauer am Ende des Films zu einem bestimmten moralischen Standpunkt gelangt, hat er zu Recht das Gefühl, dass es sein eigener Standpunkt ist. Ihm wurde nicht gesagt, was er denken soll, und deshalb ist es eine umso kraftvollere Erkenntnis für ihn.

Dann gibt es da noch die Kehrseite, die Art von bedeutsamem Film oder Werbung, mit der ich immer noch ein Problem habe. Ich werde keine Namen nennen, aber ich bin sicher, dass Ihnen einige Beispiele einfallen, auf die die folgende Beschreibung zutrifft.

Ein solcher Film trägt seine Botschaft wie ein Ehrabzeichen vor sich her und glaubt das selbst sogar nur, weil er unbedingt für eine “gute” Sache sein möchte, die ihn wiederum irgendwie auf einen Sockel heben soll. Es ist die Art von Arbeit, bei der man das eindeutige Gefühl vermittelt bekommt, die Filmemacher wüssten am besten, was der Zuschauer denken soll. Diese Arroganz ist der Kern dessen, was mich mich in der Vergangenheit so wurmte und zu meiner anfänglichen Verachtung für das Genre geführt hat.

Was würdest du lieber sehen? Diejenigen Filme, die einem Publikum sagen, was es zu denken und zu fühlen hat, sei es per Voice-Over, das einem vorbetet, was die richtige Meinung ist (aka “Die Stimme Gottes”) oder durch Musik, die einem den Hinweis gibt, wann man sich traurig/erhöht/indigniert fühlen soll? Oder die Filme, die vielleicht eine ganz bestimmte “Botschaft”, aber vor allem das Vertrauen haben, das Publikum zum Nachdenken und Fühlen einzuladen? Die die Neugierde haben, die Welt zu erforschen und sie dem Publikum widerzuspiegeln. Sei es das Gute oder das Schlechte, es steht immer im Dienst der Vermittlung starker, eindeutiger Werte.

Ich würde gerne glauben, dass meine Arbeit in diese letzte Kategorie fällt. Nach dem Vorbild von Filmemachern, die ich bewundere, versuche ich Filme zu machen, die bewusst vermeiden, mit dem so gütigen und bevormundenden Zeigefinger zu wackeln. Tatsächlich enthalten meine Filme manches Mal Aussagen, Charaktere und Szenarien, die viele für unmoralisch und unverantwortlich halten, vor allem für einen Werbefilm. Damit will ich nicht schockieren. Es ist lediglich ein Nebenprodukt meiner Absicht, Filme zu machen, die die Welt, in der wir leben, ehrlich widerspiegeln. Ich möchte komplexe Wahrheiten transportieren, die nichts beschönigen oder verwässern, nur um ihren Verzehr zu erleichtern. Mir wurde gelegentlich von Führungskräften und Kunden gleichermaßen gesagt, eine solche Position sei unklug, weil das Publikum dumm ist. Ich bin anderer Meinung. Wir alle sind das Publikum. Das Ganze kann seine Tücken haben, weil man sich der Kritik derjenigen aussetzt, die glauben, dass die Dinge für den öffentlichen Konsum weichgespült werden sollten. Der Heineken-Werbefilm, den ich gemacht habe, wurde in einigen Kreisen heftig kritisiert, mit Behauptungen, er sei eine gefährliche Plattform für Verweigerer der Klimaveränderung, für Sexismus und Anti-Transgender-Rhetorik.

All das ist er natürlich nicht. Der Film hat die Wahrheit anerkannt, dass es solche Ansichten gibt, ob es uns nun gefällt oder nicht. Ich will dem Publikum nie sagen, wie es zu denken hat, oder dass ich in der Lage bin, über das Gute oder Schlechte zu entscheiden. Ich dachte, der Heineken-Film sollte keine Ausnahme sein. Glücklicherweise hatte ich einen Kunden und eine Agentur, die mutig genug waren, mich dabei zu unterstützen. Ihr Vertrauen zahlte sich aus, denn “Worlds Apart” wurde zu einem der meist geteilten, gesehenen und zitierten Werbefilme des Jahres 2017. Die überwältigende Resonanz von Publikum und Kritikern gleichermaßen war die sehr positive Botschaft der Inklusion. Ich bin überzeugt, diese Erkenntnis war umso kraftvoller, weil wir das Publikum ganz allein zu diesem Schluss kommen ließen.

Es geht darum, dem Publikum die ungeschminkten Fakten zu vermitteln und es für intelligent genug zu halten, die Punkte zu verbinden. Sie werden überrascht sein, zu welchem Ergebnis Ihr Publikum kommen kann.

About the Author

Toby Dye

Toby Dye Toby Dye hat einen gefeierten Katalog mit sehr unverwechselbaren Arbeiten inszeniert. Er begann seine Karriere als Dokumentarfilmer, bevor er durch einen glücklichen Zufall in die Werbung kam, als sein mit dem Grierson Award prämierter Dokumentarfilm "Bodysnatchers of New York" die Aufmerksamkeit von Massive Attack erregte, was zu Dyes Musikvideo-Debüt mit "Paradise Circus" für die legendäre Band führte. Mit einem D&AD Pencil und Best in Book vom Creative Review Annual wurde er für seine Mühe belohnt und begann eine Karriere mit der Konzeption und Inszenierung von Musikvideos und Werbespots. Als stets innovativer Regisseur, sei es in der Fiktion oder im Dokumentarfilm, verbindet er Techniken aus beiden Disziplinen mit oft verblüffend originellen Ergebnissen. Er hat Kampagnen für große internationale Marken wie American Express, Ford, Lurpak, Heineken und Sky geprägt. Sein Film "Free the Kids" für Persil gewann den Best of Best Gold Award beim Brand Film Festival des Campaign Magazine und einen Bronze Lion in Cannes. "One Breath" für Nicorette hat einen 2017 D&AD Pencil und einen Silver Cannes Lion bekommen. Im vergangenen Jahr bildete seine Filminstallation “The Corridor” das gefeierte Herzstück der Londoner Kunstausstellung “Daydreaming with .. Stanley Kubrick”. Vom Daily Telegraph als "Mindboggling, funny and mild disturbing" gefeiert, ist es eine passende Zusammenfassung der besten Arbeiten von Dye. In jüngerer Zeit hat Toby Michael Fassbender und den Rest der Besetzung von Ridley Scotts' “Alien: Covenant” für “Phobos”, einen Kurzfilm im Alien-Universum für 20th Century Fox inszeniert. Sein Film für Heineken, "Worlds Apart", brachte seiner Arbeit globale Aufmerksamkeit, nachdem sie den Nerv des Publikums weltweit getroffen hatte. Mit über 35 Millionen Zuschauern löste der Film eine globale Debatte aus, die von der Washington Post über Good Morning America bis hin zu Time und The Guardian in den Medien ausführlich begleitet wurde.